"Was schreib ich da eigentlich?" - der innere Kritiker des Autors
Viele Menschen haben einen inneren Kritiker: Eine Stimme im Kopf, der man nichts recht machen kann. Die herumkrittelt und nörgelt und selten ein gutes Haar an einem lässt.
Wir Autoren haben da unser ganz eigenes Modell davon: den "inneren Literaturkritiker". Und der ist ganz schön nervig.
Ein kleiner Erlebnisbericht.
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Ich starre wie vom Donner gerührt auf die Seite.
Wie bist du denn da rein gekommen? Wie zum Donnerwetter bist du den vielen fleißigen Händen, die auf Herz und Niere Buchstabe um Buchstabe geprüft haben, entschlüpft? Hämisch lacht er mich aus dem Buch hinaus an: ein Zeitformfehler. Ein großer, hässlicher Zeitformfehler.
Wenn ich solche Fehler in anderen Büchern entdecke, (was häufiger vorkommt, als ich erwarten würde), dann schmunzel ich kurz darüber, triumphiere vielleicht ein paar Sekunden – ich hab schließlich was gefunden, was zuvor einem Lektor entschlüpft ist – und lese dann weiter. Schließlich weiß ich, welche Heidenarbeit in so ein Buch geht und dass es nahezu unmöglich ist, jeden einzelnen Fipptheler auszuradieren. Wenn ich allerdings über Fehler in meinen eigenen Büchern stolpere, löst das gleich eine kleine Identitätskrise aus.
Ein Zeitformfehler – wie kommt er da hin? Haben wir wirklich in der langen Überarbeitungsphase Mücken heraus gesiebt und dieser Elefant ist munter an uns vorbeispaziert, ohne, dass wir ihn bemerkt haben?
Mein innerer Literaturkritiker ist natürlich sofort aufgewacht. Meine Fehler sind das beste Mittel, ihn zu wecken. Schon fängt er an, mein Buch auseinanderzunehmen. "Der Schreibstil holpert und stolpert wie ein abgelegener Schotterweg. Die Sätze sind zu lang, zu viele Sprachschachteln, die sich ineinander verschachteln, und sowieso viel zu viele exorbitant lange Fachtermini für ein Kinderbuch!"
Hat er denn recht, der innere Kritiker?
Ich weiß nicht, wie andere mit dieser fiesen Stimme umgehen. Ich hab mir angewöhnt, mir und ihm ein paar Fragen zu stellen.
Die wichtigste Frage geht an mich: Stimmt es denn, was der innere Literaturkritiker zu sagen hat?
Nun, zum Teil. Ich hab "Weihnachten mit der Hiob-Schule" mit vierzehn geschrieben und mit fünfzehn veröffentlicht. Mein Stil war damals noch nicht so weit wie heute, fünf Jahre später. Jetzt würde ich einiges anders machen.
Nächste Frage: Ist des deshalb ein schlechtes Buch?
Der Kritiker glaubt, die Antwort zu wissen. Er ist der Meinung, es sei eine Vollkatastrophe. Da lässt er sich von nichts anderem überzeugen.
Was fang ich jetzt mit ihm an? Wenn der erst mal in Fahrt gekommen ist, dann würde er am liebsten das Buch vollständig neu schreiben und alle alten Exemplar einstampfen.
Heute würde ich es vielleicht besser hinkriegen als damals, meint er. Er hat zumindest etwas recht: jetzt schreibe ich sicherer, schöner, weniger verschachtelt. Und wenn ich eine Sprachschachtel falte, dann habe ich meine Gründe dafür.
"Weihnachten mit der Hiob-Schule" ist aber das Buch meines fünfzehnjährigen Ichs. Und meine Güte war das damals stolz auf das fertige Buch. Da sollte ich mich doch einfach noch ein bisschen mit meinem fünfzehnjährigen Ich zusammen freuen, oder nicht? Und auch darüber, dass ich in den letzten Jahren so viel ausprobieren und lernen durfte.
Lernen heißt immer, es gibt da noch mehr nach oben. Lernen heißt noch nicht können. Ausprobieren, Fehler machen, lernen, besser machen. Immer wieder und wieder und wieder. Und eigentlich macht dieser Prozess doch ziemlich Spaß!
Also, was fertig ist, ist fertig! Egal, wie unfertig es noch ist. Falls das Sinn ergibt.
Doch der Literaturkritiker hat noch nicht fertig mit mir. »Was du gerade schreibst, wird auch nicht viel besser!«
Wie besiegt man den inneren Kritiker?
Ich bin kein Psychologe. Keine Ahnung, wie man den inneren Kritiker auf die »richtige« Art loswird. Am besten wirkt bei mir immer noch, mich auf die Reaktionen zu verlassen, die ich auf meine Bücher und Texte tatsächlich bekomme. Ich gebe sie dafür Menschen in die Hand, denen ich vertraue und von denen ich mir sicher sein kann, dass sie ehrlich mit mir sein werden. Dann weiß ich, was etwas taugt und woran ich noch arbeiten muss.
Dann überlege ich mir einfach einmal, wer meine Bücher gelesen hat. Was haben die dazu gesagt?
»Viel zu holperig, gestelzt und außerdem mit einem riesigen Zeitformfehler!«, hab ich zum Glück noch nie gehört.
Ich erinnere mich an einen Drittklässler, wie er strahlend zu mir aufschaut und ganz aufgeregt fragt, ob ich der bin, der die Bücher mit der Hiob-Schule geschrieben hat. Und als ich nicke, möchte er unbedingt ein Autogramm. Irgendwo finde ich noch die Sprachnachrichten einer Familie, die sich beim Lesen des Buches schlapp gelacht hat.
Irgendetwas muss doch richtig mit diesem Buch sein. Keiner von all denen ist über die Schlaglöcher und Bodenwellen meines Schotterpisten-Schreibstils gestolpert. Dann wird das in Zukunft auch nicht passieren. Aus Schlaglöchern, Fehlern und literarischen Auffahrunfällen (die zum Glück nie an die Öffentlichkeit gelangt sind) lernt man bekanntlich. Also, tief durchatmen und das Schreiben einfach genießen. Als das großartige Abenteuer, dass es ist!
Währenddessen hat der innere Literaturkritiker stillschweigend das Handtuch geworfen und sich getrollt. Für dieses Mal.
—
Und was den Zeitformfehler in »Weihnachten mit der Hiob-Schule« angeht – vielleicht findet ihn ja tatsächlich keiner. Ich lass ihn dort stehen. Das Buch ist fertig, in all seiner Unfertigkeit. Wenn jemand darüber stolpert, wird er sich schon nicht ernsthaft verletzen.
Wenn du neugierig bist und unbedingt wissen willst, wie dieses Fehlerchen denn in natura aussieht, kannst du dir das Buch gerne zulegen. Passt gerade sowieso gut zur Jahreszeit!
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(Und sollte ich auf diese plumpe Methode tatsächlich ein Buch verkaufen, dann hat der Fehler doch auch seine guten Seiten gehabt...)
Damit wäre ich erst mal fertig mit dem Thema Unfertigkeit. Zumindest, bis mir wieder irgendetwas dazu einfällt.
Man liest sich!
Euer Joas
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"Wenn eine Buchreihe 4 Bände hat, dann kann es rein rechnerisch keine Trilogie mehr sein ..."
- Herr Stenzel, Mathelehrer
Da hat er natürlich recht, der Herr Stenzel. Trotzdem, es ist inzwischen ein offenes Geheimnis: Nach Band 3 geht es weiter. Und da sich an der Hiob-Schule so einiges ändert, würde ich nicht von Band vier sondern von Staffel 2 sprechen.